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Den Geist geweckt

Die brasilianische Künstlerin und Aktivistin Glicéria Tupinambá zeigte bei einem Besuch im MKB auf, wie ein Federcape ihrer Ethnie im Kampf um Anerkennung helfen kann.

1558 kam ein erster Vertreter einer indigenen Ethnie Brasiliens nach Basel. Es dürfte sich um einen Mann der Tupinambá gehandelt haben. Diese lebten im Nordosten Brasiliens, südlich der ehemaligen Hauptstadt Salvador da Bahia.

Im 16. Jahrhundert wurde die Ethnie durch eingeschleppte Krankheiten und gewalttätige europäische Kolonisatoren stark dezimiert. Die Tupinambás de Olivença im Bundesstaat Bahia berufen sich heute darauf, von den Tupinambá abzustammen. Sie und rund 300 andere Ethnien kämpfen um ihre Territorien und ihre formale Anerkennung.

Es ist ein Beweis dafür, dass es die Tupinambá gab

Eine der Aktivistinnen ist Glicéria Tupinambá. Die Künstlerin und Anthropologin ist eine Tupinambá. Sie kam vergangene Woche nach Basel, ins MKB; im Rahmen zweier Projekte: BRASILIAE, zu frühen Sammlungen aus Brasilien in Leiden (Niederlande), und COLAM in Paris, das Gegenstände indigener Ethnien aus Brasilien in europäischen Museen dokumentiert.

Eine Frau in einem orange-lila-Oberteil mit Blumenmuster und einem Federschmuck auf den dunklen Haaren steht vor einem Tisch, auf dem zwei Hände in blauen Handschuhen eine weisse Decke hochheben.

Ein emotionaler Moment für Glicéria Tupinambá: Der Umhang wird aufgedeckt

Ihr Interesse galt einem Federcape, das aus dem 16. oder 17. Jahrhundert stammen dürfte. Es kam via Geographisch-Comercielle Gesellschaft Aarau ins Museum. Der Umhang gehörte einst den Tupinambá und wurde von Schamaninnen und Schamanen für Rituale getragen. «Er ist ein Beweis dafür, dass es die Tupinambá gab», betont Glicéria Tupinambá.

Techniken studieren

Elf solcher Capes existieren noch, alle befinden sie sich in europäischen Museen. Glicéria Tupinambá sah 2006 zum ersten Mal solch einen Umhang, auf einem Bild während ihrer Ausbildung zur Lehrerin. Sofort beschloss sie, ein solches Cape nachzubilden.

Auf einem Tisch in einer riesigen weissen Schachtel liegt ein rötlicher Federumhang. Rechts steht ein Mann in blauem Pullover, der mit dem Handy eine Frau filmt, die hinter der Schachtel steht. Sie blickt andächtig auf den Umhang. Sie trägt ein orange-lila-Oberteil mit Blumenmuster und einen blauen Federkopfschmuck.

Andächtig: Der erste Blick auf das Cape

Sie behalf sich mit Fotos, durfte dann aber in Paris ein Original studieren. Ein Cape besteht aus bis zu 10 000 Vogelfedern. Für den Umhang des MKB wurden Federn des roten Ibis verwendet. Die Techniken, mit denen die Federn zusammengefügt wurden, sind Glicéria Tupinambá teilweise noch aus ihrer Kindheit vertraut.

Übrigens werden dafür keine Tiere getötet. «Die Vögel teilen ihre Federn mit uns», so die Künstlerin. Ohne intakte Umgebung mit gesunder Flora und Fauna gäbe es keine Capes. Die Tupinambá hätten deshalb ein Recht auf ein intaktes Territorium.

Kunst stärkt unsere Standpunkte

Das von ihr und ihrer Gemeinschaft hergestellte Cape in den Farben der Tupinambá trug ihr Chief, als ihm die Doktorwürde verliehen wurde. Es war ein klares politisches Zeichen, denn ursprünglich war es ihm verboten worden, solch einen Umhang zu tragen.

Eine Frau in orange-lila-Oberteil mit Blumenmotiven und einem blauen Federkopfschmuck steht vor einem Tisch mit einem rötlichen Federumhang und redet mit Mund und Händen. Hinter ihr, vor einem weissen Regal, stehen drei Frauen: eine hört zu, eine schreibt mit, eine filmt mit ihrem Handy.

Lebhaft: Glicéria Tupinambá erklärt, wie wichtig der Umhang ist

«Kunst stärkt unsere Standpunkte», sagt Glicéria Tupinambá. Weshalb sie während der Corona-Pandemie ein weiteres Cape herstellte. Erneut befolgt sie dabei die Anweisungen ihrer 95-jährigen Gotte und 75-jährigen Cousine. Diese erklärten, sie müsse erst davon träumen.

Ich bringe die Stimme meiner Ahn*innen mit mir heim

Die Künstlerin interessiert sich aber nicht nur für die Handwerkskunst. Sie spricht mit den Umhängen respektive ihre Vorfahr*innen, sie sprechen aus den Capes heraus zu ihr. Sie bat deshalb auch bei ihrem Besuch im MKB darum, alleine Zeit mit dem Cape im Depot verbringen zu dürfen.

Eine Forderung auf Restitution wird es von den Tupinambá vorläufig nicht geben. Zum einen gibt es keinen sicheren Ort, wo die Capes untergebracht werden können. Zum anderen sagte Glicéria Tupinambá vor den Medien: «Ich bringe die Stimme meiner Ahn*innen mit mir heim, das ist das Wichtigste.»

Hinter einem Tisch mit einem rötlichen Federumhang stehen eine Frau und zwei Männer. Die Frau blickt einen der Männer an, der zu ihr spricht, während der andere Mann mit einer Kamera filmt.

Gefilmt: Kurator Alexander Brust im Austausch mit Glicéria Tupinambá

Sie zeigte sich sehr erfreut, dass Schweizer Medien darüber berichten. Das helfe in ihrem Kampf um Anerkennung.

Die Aktivistin dankte dem Museum, dass es das Cape so gut aufbewahrt. Sie sprach Amerika-Kurator Alexander Brust ihren grossen Dank aus, dass er ihr ermöglicht habe, mit ihren Ahn*innen Kontakt aufzunehmen: «Ich habe den Geist des Capes wecken können. Dieser kommt mit mir nach Hause.» Sie kann es gar nicht abwarten, ihrem Volk von den Vorfahren zu erzählen, die in Basel waren.