Übersicht

Auf der Spur des Hais

Zwei Yolŋu-Künstler teilten im Museum ihr Wissen zu Fotografien und Rindenmalereien aus ihrer Heimat, der australischen Insel Milingimbi. Die Erkenntnisse fliessen ins Projekt «Living Legacies», das sich mit der Sammlung des Ethnologen Karel Kupka befasst.

«Das ist die Spur des Hais». Jason Dhawulunbulun erklärt, was auf einer Rindenmalerei seines Grossvaters, des Künstlers Manuwa, zu sehen ist. Das Bild zeigt seichtes Wasser, und eben in der Mitte eine Art Kanal, in dem der Hai auch bei Ebbe rein- und rausschwimmen kann.

Auf einem weissen Tisch liegen vier rechteckige Bilder, die Pflanzenmotive zeigen. Zwischen ihnen und oberhalb liegen weisse Zettel respektive Karteikarten. Zwei Männer sitzen am Tisch und erklären etwas mit ihren Händen. Der eine trägt grüne Handschuhe. Beide Männer sind dick eingemummelt und tragen Mützen.

Michael Mungula (l.) und Jason Dhawulunbulun (r.) vor Rindenmalereien ihrer Vorfahren

Der Künstler aus Milingimbi, einer kleinen Insel im Norden Australiens, ist zu Besuch in Basel, zusammen mit Michael Mungula, Sohn des Künstlers Djäwa, von dem das MKB ebenfalls Rindenmalereien besitzt. Es ist das erste Mal, dass die beiden diese Werke ihrer Vorfahren sehen.

Viele Erinnerungen

An diesem Morgen im Depot kommen viele Erinnerungen hoch. Michael Mungula fühlt sich wehmütig. Er muss an seine Eltern denken, an das Leben von früher. Andererseits ist er glücklich. Er darf die Werke seines Vaters sichten.

Jason Dhawulunbulun sagt, auch er spüre seine Vorfahren und deren Anerkennung. Er sagt, die Vorfahren seien hier, das sei ein schönes Gefühl. Und er ist stolz auf alles, was seine Vorfahren geschaffen haben. Er schätze es sehr, dass er die Werke studieren dürfe.

Um einen weissen Tisch sitzen und stehen vier Personen, ein Mann dahinter, drei Frauen davor. Der Mann zeigt auf ein Bild in einer Kartonschachtel mit der rechten Hand, die in einem grünen Handschuh steckt. Die Frauen notieren sich das Gesagt auf Blöcken.

Alles, was die beiden Künstler sagen, wird festgehalten

Die beiden arbeiten im Projekt «Living Legacies» mit. Dieses befasst sich mit der Sammlung des Ethnologen und Künstlers Karel Kupka. Durch ihn sind viele Dinge ins MKB und in andere Institutionen in der Schweiz, in Frankreich und Australien gelangt.

Alle Sammlungsstücke, Fotografien, Publikationen und das persönliche Archiv von Kupka sollen in ein digitales, öffentlich zugängliches Archiv überführt werden. Um die Yolŋu-Kultur, deren Gesetze und Kunst genau wiedergeben zu können, wird eng mit Ursprungsgemeinschaften zusammengearbeitet, und auch mit direkten Nachfahren wie Michael Mungula und Jason Dhawulunbulun.

Bestätigung der Autorenschaft

Jason Dhawulunbulun bestätigt, dass es sich beim «Hai»-Bild um eines seines Grossvaters handelt. Kupka war sich nicht ganz sicher. Der Enkel erkennt den Stil des Grossvaters. Auch Mungula kann bei einigen Werken bestätigen, dass sie von seinem Vater stammen und gibt ganz viele Details zu Stilen, zu Inhalten, zu Malweisen, zu den Geschichten, die erzählt werden, weiter.

Vier Frauen notieren jedes Wort, das die beiden Künstler sagen. Harriet Watts, Sammlungskoordinatorin Djalkiri Keeping Place, Milingimbi Art und Culture, Ethnologin Jessica De Largy Healy, Magali Mélandri, verantwortliche Kuratorin der Ozeanien-Sammlung am Musée du quai Branley – Jacques Chirac, und MKB-Kuratorin Beatrice Voirol sind seit letztem Jahr mit dem Projekt «Living Legacies» beschäftigt.

Für künftige Generationen

Für Mélandri und De Largy Healy sehr wichtig ist die Frage, was genau publik gemacht werden darf und was nicht. An diesem Morgen hätten sie speziell von Michael Mungula erfahren, sagen sie, dass ein Werk auf keinen Fall online gestellt werden dürfe. Gleiches gelte für gewisse Informationen, die von Kupka stammen oder neu dazugekommen seien. Gewisses dürfe eben ausschliesslich nur von älteren Yolŋu-Männern gesehen und besprochen werden.

In einem hellen Kellerraum mit vielen Rollkorpussen stehen und sitzen Leute um zwei Tische. Zwei Männer und eine Frau diskutieren über Bilder, die auf den Tischen liegen. Zwei weitere Frauen hören zu. Eine Frau tippt in ein Laptop.

Botschafterin Elizabeth Day unterhält sich mit den beiden Künstlern

Für Watts ist der Besuch bereichernd, weil es den Künstlern die Möglichkeit gibt, die Werke ihrer Familien persönlich zu sehen, im selben Raum mit ihnen zu sein und dies ihre eigene Kunst und Kultur weiter inspiriert. Sie erwähnt, dass die Geschichten für eine grössere Gemeinschaft zugänglich werden via Djalkiri Keeping Place, und wie dies das Weitergeben von Wissen an künftige Generationen in Milingimbi erleichtert.

Auch für Besuchende wertvoll

Voirol sagt, als Bewahrer des Wissens seien die Beiträge der beiden Künstler von grosser Wichtigkeit, um die komplexen Inhalte der Werke besser verstehen zu können. Schlussendlich erhielten Museumsbesuchende, die internationale Forschungsgemeinschaft und die breite Öffentlichkeit besseren Zugang zu den Werken.

Inzwischen ist die australische Botschafterin in der Schweiz, Elizabeth Day, eingetroffen. Sie unterhält sich angeregt mit den beiden Künstlern. Und auch aus diesen Gesprächen lassen sich wertvolle Informationen gewinnen.

Um den Kopf eines Tisches stehen acht Personen, drei Männer und fünf Frauen. Die Männer halten Bilder in den Händen, die in grünen Handschuhen stecken. Alles lächeln in die Kamera.

Die Projektgruppe (v.l.): Jason Dhawulunbulun, Sven Lienhard (Assistent Ozeanien am MKB), Harriet Watts, Beatrice Voirol, Elizabeth Day, Magali Mélandri, Jessica De Largy Healy und Michael Mungula