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Auf den Spuren einer frühen Ethnologin

Mehrere Mitarbeitende engagieren sich im Provenienzforschungsprojekt «Auf dem Prüfstand». Im Blog berichten sie über ihre Recherchen. Den Auftakt macht Silvia Greber.

Die Wege, die Objekte zurücklegen, bis sie im Museum landen, sind teilweise lange und verworren. Im Provenienzforschungsprojekt «Auf dem Prüfstand» zur kolonialen Belastung der Sammlung des MKB habe ich zu den Sammlungsbeständen aus den Philippinen recherchiert.

Leider sind die genauen Umstände des Erwerbs nur selten nachvollziehbar. Aber mitunter bieten die Quellen aufschlussreiche Informationen.

Details aufspüren

1962 ging das MKB mit dem American Museum of Natural History (AMNH) einen Tausch ein. Das MKB erhielt vom AMNH zwei Schlauchröcke aus Mindanao, einer Insel der Philippinen. Fast hätte ich den Hinweis auf der Karteikarte übersehen. Dort stand neben dem AMNH noch ein weiterer Hinweis: «gesammelt 1910 durch Laura E. Watson Benedict». In der Museumsdatenbank war ihr Name nicht verzeichnet.

Linierte, weisse Karteikarte, auf der sowohl mit Hand wie auch mit Schreibmaschine verschiedene Texte geschrieben sind wie auch Zahlen.

Wer war Laura E. Watson Benedict, die ganz zuunterst auf der Karte erwähnt wird?

Watson Benedict war 1906 von den USA aus aufgebrochen, um während 14 Monaten auf Mindanao für ihr Dissertationsprojekt zu forschen. Ihr Doktorvater war der berühmte Ethnologe Franz Boas. Sie war 1916 die erste Frau, die einen PhD in Ethnologie von der Columbia University in New York erhielt.

Dass eine Frau im frühen 20. Jahrhundert eigene Feldforschung betrieb und dazu eine mehrmonatige Reise unternahm, war ungewöhnlich. Die Umstände waren denn auch schwierig. Um ihre Forschung zu finanzieren, musste Watson Benedict nebenbei als Lehrerin an einer lokalen Schule unterrichten.

Die Philippinen waren von 1898 bis 1946 eine Kolonie der USA. Das Schulwesen wurde während der Kolonialzeit von der Militärregierung der USA organisiert. Als Lehrerin war Watson Benedict somit direkt in die kolonialen Strukturen der USA eingebunden.

Überzeugungsarbeit

Um ihren Forschungsaufenthalt zu finanzieren, wollte Watson Benedict während des Aufenthalts Objekte für ein Museum sammeln. Teilweise musste sie Kontaktpersonen überzeugen, ihr Objekte zu überlassen. Die Aussicht, dass die Gegenstände für immer in einem amerikanischen Museum aufbewahrt würden, motivierte ihre Kontaktpersonen, wie sie in einem Artikel über die Sammlung schrieb.

Dass nicht alle Gegenstände für immer im AMNH blieben, zeigt das Beispiel der zwei Röcke, die sich mittlerweile im MKB befinden. Nach ihrer Rückkehr 1910 verkaufte sie die Gegenstände an das AMNH – dieses Datum finden wir auch auf der Karteikarte – und inventarisierte die Objekte selbst.

Auf weissem Papier ausgebreitet ein rötlich-brauner rechteckiger Stoff mit unterschiedlichen Mustern.

Einer der Schlauchröcke aus den Philippinen, die weit mehr enthüllten als vermutet

«brought by Awi»

Zu einem der Röcke bietet die Karteikarte noch mehr Informationen. Auf einem darauf geklebten Abschnitt einer Liste, wahrscheinlich aus dem Begleitbrief, steht «brought by Awi». Aber wer ist Awi?

Der Name Awi kommt in Watsons Dissertation mehrmals vor. Sie begegnete ihm bei Zeremonien. Dass die Sammler*innen die Namen der Vorbesitzer*innen erfassten, ist selten – umso aufschlussreicher, wenn man bei Provenienzrecherchen solche Informationen findet.

Alte Nummer

Auf dem aufgeklebten Ausschnitt ist zusätzlich eine Nummer zu finden. Bei einer Begutachtung im Museumsdepot stellte ich fest, dass sich diese alte Nummer noch immer am Rock befindet. Dass ein Museum Objekte tauscht, die bereits inventarisiert sind, ist unüblich. In diesem Fall hat sich das AMNH anscheinend trotzdem dazu entschieden.

Eine Ecke eines rötlich-braunen Stoffteils, an der eine kaum sichtbare Etikette mit Schnur befestigt ist und aus der eine runde gelbe Marke zu rutschen scheint, auf der ein paar Ziffern stehen.

Alte Nummern bringen Unübliches ans Licht

Aufgrund der fehlenden Briefe lässt sich bisher nicht nachvollziehen, welche Gegenstände das AMNH stattdessen erhielt. In einem nächsten Schritt steht eine Nachfrage beim AMNH an.

 

Quellen:
Benedict, Laura Estelle Watson 1911. Bagobo Fine Art Collection. In: American Museum Journal 11. 164-171.

Bernstein, Jay H. The Perils of Laura Watson Benedict: A Forgotten Pioneer in Anthropology. In: Philippine Quarterly of Culture and Society. Vol. 26, No. 1/2 (1998). S. 165-191.