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«Ich schreibe und zeichne schon lange»

Kürzlich ist das Buch «Tägliches Befremden» von Reingard Dirscherl erschienen. Die Mitarbeiterin der Abteilung Bildung & Vermittlung verrät uns mehr dazu.

MKB: Frau Dirscherl, wie haben Sie sich gefühlt, als Sie Ihr gedrucktes Buch in der Hand gehalten haben?
Reingard DIrscherl: Es war ein gutes Gefühl, als es vor mir lag. Folgende Gedanken gingen mir durch den Kopf: Es ist vollbracht. Es hat sich materialisiert. Ich kann es freilassen. Ich freute mich auch über die Gestaltung, sie entspricht meinen Geschichten.

Das Bild zeigt Reingard Dirscherl auf einer Bank im Museumshof. Sie trägt das lange silberne Haar in einem Rossschwanz. Freundlich lächelt sie in die Kamera. Sie trägt eine dunkelbrauen Bluse und eine Halskette.

Inspiriert auch durch ihre Arbeit im Museum: Reingard Dirscherl

Wie kamen Sie dazu, das Buch auch zu illustrieren?
Ich male und zeichne schon lange. Ich habe die Illustrationen nicht auf die Kurzgeschichten abgestimmt, sondern einfach eine Auswahl aus meiner Sammlung getroffen. Meine Zeichnungen passen, gleichzeitig zeigen sie einen anderen Aspekt der Erzählungen auf. Sie lassen vieles offen,  stellen in sich aber einen roten Faden dar.

Und sie befremden ein wenig ...
Die meisten Zeichnungen zeigen Mischwesen, teils Tier, teils Mensch. Sie entstanden oft unbewusst, beispielsweise beim Telefonieren. Dazu inspiriert haben mich auch Museumsobjekte.

Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, ein Buch zu schreiben?
Ich bin freischaffende Journalistin. Dabei konzentrierte ich mich als studierte Ethnologin lange Jahre auf Reportagen, rund um andere Kulturen und Migration. Stets war mir dabei auch die sprachliche Umsetzung wichtig. Neben meiner journalistischen Arbeit verfasste ich viele Erzählungen. Nie vollendete ich sie sofort, sie mussten quasi marinieren, erst wenn ich den nötigen Abstand hatte, warf ich einen neuen Blick darauf und dann stellte ich sie fertig. Immer schon wollte ich sie herausbringen. Ich beschloss, Verlage anzuschreiben, ob sie meine Erzählungen als Buch veröffentlichen würden.

Wie war die Reaktion?
Es kamen viele Absagen. Die Verlage fanden, zuerst müsste ich einen Roman veröffentlichen und erst danach Kurzgeschichten. Romane verkaufen sich besser. Ich aber finde, mir liegen kurze Erzählungen und so versuchte ich mein Glück weiter. Der Basler Verlag kurz & bündig sagte schliesslich zu.

Was fasziniert Sie denn an Kurzgeschichten?
Sie haben ein Anfang und ein Ende. Sie sind eine Herausforderung: Ich verdichte gerne, das bedeutet aber viel Arbeit, die ich gerne annehme. Zu welchem Zeitpunkt ist die Verdichtung dann gelungen? Aus meiner Sicht, wenn die Leserinnen und Leser über die Geschichte zu reflektieren beginnen, wegzoomen, auch übers Persönliche hinaus. Ich möchte bei anderen Menschen neue Töne zum Klingen bringen.

Das Foto zeigt das Buchcover. Es ist blau, mit einer Figur darauf, die sich spiegelt und es sieht so aus, als ob sich die Figur im Wasser befindet

Wie gehen Sie da vor? 
Ich zeige mehrere Facetten und benutze deshalb unterschiedliche Perspektiven. Ich lasse Ansichten lebendig werden und versuche, sie nicht einseitig darzustellen. Ich arbeite auch mit Klischees, um sie aufzulösen und überschnelles Urteilen abzubauen.

Beziehungen spielen in Ihren Geschichten eine zentrale Rolle. Wieso?
Da spielt mein ethnologischer Hintergrund mit hinein: Beziehungen schaffen Kultur(en). Sie sind das Thema des täglichen Befremdens. Als Kind schon beobachtete ich das Verhalten von Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen und dabei wurden viele Fragen aufgeworfen. Beziehungen sind so komplex, sie haben viele Zwischentöne und sind nicht einfach. So kann in meinen Erzählungen selbst das negativ Scheinende eine positive Komponente haben und das Lustige gleichzeitig traurig sein.

Wieviel Autobiografisches floss ins Buch ein?
Ich kann nur finden, was ich sehe. Irgendwie verarbeite ich immer eigene Erlebnisse, doch ich verfremde sie oder erfinde Neues dazu. Meine Protagonisten sind also nicht mit der Autorin zu verwechseln. Zudem wähle ich immer wieder andere Perspektiven, sogar innerhalb einer Geschichte. Die zweite und letzte Erzählung beinhalten viel Autobiografisches.

Eine Geschichte spielt im Museum ...
Ich mache ja Führungen in den Ausstellungen. D.h. ich vermittle. Und dabei erwecke ich Objekte zum Leben. Ich sehe mich als Übersetzerin zwischen Exponaten und Besuchern. Daraus entsteht eine Dynamik unter den Besuchern. Sie treten in eine Beziehung zu den Objekten und diese bringen sie ins Gespräch untereinander. Ich selbst bekomme etwas retour von ihnen, lerne also dazu und bin dankbar dafür. Das ist gelebte Kultur.

In der Erzählung «Mein Opium» versuche ich, solch einer Dynamik nachzugehen. Die Geschichte schildert eine Führung durch die ehemalige Ausstellung «Opium». Der Ich-Erzählerin entgleitet zusehends der Faden, während die Dinge die Regie über das Geschehen übernehmen. Aber mehr will ich dazu nicht verraten.